Hohe Personalkosten und Materialengpässe

Vertragsverhandlungen projektstrategisch führen

Lieferengpässe und explodierende Materialpreise im Baugewerbe können Unternehmer in bedrohliche Situationen bringen, denn oft waren sie zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe noch nicht erkennbar. ABZ-Chefredakteur Kai-Werner Fajga fragte Rosina Sperling, Geschäftsführerin der BVM Bauvertragsmanagement, nach Praxistipps zu Gestaltung und Umgang mit Bauverträgen.
Bauvertragsrecht Recht und Normen
Rosina Sperling ist seit 2007 alleinige Geschäftsführerin der BVM Bauvertragsmanagement GmbH. Foto: BVM Bauvertragsmanagement

ABZ: Probleme der internationalen Rohstoffwirtschaft führen zu erhöhten Termin- und Kostenrisiken in der Bauprojektabwicklung. Trotz gefüllter Auftragsbücher und bester Konjunkturprognosen drohen Unternehmern enorme finanzielle Verluste. Wie können sich Bauunternehmer dem Thema Bauvertragsrecht annähern?

Sperling: Ausschreibungen und Bauvertragsverhandlungen müssen von den Auftragnehmern projektstrategisch geführt werden und das Thema Material- und Personalpreissteigerungen berücksichtigen, weil bei ungestörten und unveränderten Bauausführungen die höheren Preise vom Unternehmer grundsätzlich nicht an den Auftraggeber weitergegeben werden können. Auch das Bauministerium des Innern, für Bau und Heimat hat Mitte 2021 reagiert und hierzu einen Erlass zu Lieferengpässen und Stoffpreisänderungen diverser Baustoffe veröffentlicht.

ABZ: Was gilt grundsätzlich?

Sperling: Kostensteigerungen, Schlechtleistungen, Verzug oder Insolvenzen sind Teil der Risikosphäre des Auftragnehmers. Zu den elementaren Bestandteilen des unternehmerischen Risikos und des zu kalkulierenden Wagnisses des Auftragnehmers gehören gestiegene Materialpreise und Lieferengpässe. Diese Beschaffungsrisiken müssen vom Auftragnehmer durch präventive Maßnahmen und vorausschauende Vertragsgestaltungen gemeistert werden.

ABZ: Besteht ein Preisanpassungsanspruch?

Sperling: Grundsätzlich gibt es im laufenden Vertragsverhältnis keinen Preisanpassungsanspruch, auch nicht im Falle einer überraschenden Baupreiserhöhung. Wenn keine vertraglichen "Sicherungselemente" eingebaut werden, kann das Problem kaum mehr rechtlich aufgefangen werden. Die Risiken von Lieferverzügen und Materialpreiserhöhungen müssen die Auftragnehmer schon vor dem Projektstart analysieren und Handlungsoptionen sowie Konfliktstrategien sind bereits vor dem Projektstart, also noch vor Beteiligung an einer Ausschreibung, zu bedenken.

ABZ: Was ist in der vorvertraglichen Phase zu beachten?

Sperling: Der Auftragnehmer muss nicht um jeden Preis ein Angebot abgeben. Er kann auf vertraglichen Anpassungen bestehen. Preisgleitklauseln können als Sicherheitsanker vereinbart werden. Während der Ausschreibung und der Vergabe von Projekten muss das Risiko- und Bauvertragsmanagement im Fokus stehen. Öffentliche Auftraggeber haben in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass Preisgleitklauseln zum Erhalt der Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers sinnvoll erscheinen, insbesondere wenn es um "preisempfindliche Stoffe" geht.

Es gibt mehrere Erlasse und Richtlinien, die in die Preisformblätter Nr. 224, 225 und 228 und in die Vergabehandbücher von Bund und Ländern aufgenommen wurden, um Regelungen für Gleitklauseln bei der Ausschreibung in die Vergabeverfahren aufzunehmen. Das Formblatt "Stoffpreisgleitklausel" kam bisher in Verbindung mit schwankenden Stahlpreisen zum Einsatz, kann aber ebenso für andere Stoffe verwendet werden, soweit diese im Güterverzeichnis des Statistischen Bundesamtes Indizes dafür veröffentlicht werden.

Laut BMI-Erlass zum Umgang mit neuen und laufenden Vergabeverfahren können Preisgleitklauseln wie auch Fristverlängerungen in laufenden Vergabeverfahren nachträglich in das Vertragswerk einbezogen werden.

Bieterfragen können zur Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel gestellt werden. Vom öffentlichen Auftraggeber müssen diese geprüft werden und – soweit diese mit den Vorgaben des VHB konform sind – sollen diese auch genehmigt werden. Im Erlass vom 21. Mai 2021 stellt das BMI fest, dass ablehnende Entscheidungen im Vergabevermerk begründet werden müssen. Aber Vorsicht: Der Bieter, also Auftragnehmer, kann nicht von sich aus eine zeitlich befristete Preisbindung oder eine Preisgleitklausel anbieten.

ABZ: Gilt das auch für nichtöffentliche Bauaufträge?

Sperling: Auch bei nichtöffentlichen Bauaufträgen sind vertraglich vereinbarte Preisgleitklauseln eine gute Alternative. Wegen des längeren Bauausführungszeitraumes und aufgrund der konjunkturellen Besonderheiten sind in der Regel Preisabsicherungen beim Lieferanten nicht möglich. Vorsicht gilt bei den Klauseln, die als AGB zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern vereinbart werden. Sie müssen den AGB-rechtlichen Inhaltskontrollen Stand halten.

ABZ: Welche Möglichkeiten bieten sich in der Angebotsgestaltung durch den Auftragnehmer?

Sperling: Insbesondere bei materialintensiven Bauaufträgen führt die Unsicherheit bei der Stoffkostenkalkulation und Materialverfügbarkeit zu einer höheren Risikobewertung beim Unternehmer. Empfehlenswert ist daher für den Unternehmer, das Angebot "freibleibend" zu unterbreiten, um sich Spielraum für den endgültigen Vertragsabschluss zu verschaffen. Hierbei kann der Unternehmer den Willen zum Vertragsabschluss äußern, ohne dass die Verpflichtung zur Vertragsdurchführung besteht. Ist die Auftragsdurchführung aufgrund der gestiegenen Preise nicht mehr lukrativ, kann er dem Auftraggeber eine abschlägige Mitteilung machen und der Vertrag kommt nicht zustande.

ABZ: Welche weiteren Möglichkeiten gibt es?

Sperling: Angebote befristen und Materialpreise beim Lieferanten oder Subunternehmer absichern. Bei größeren Baustellen ist es für den Auftragnehmer ratsam, eine "doppelte Sicherheit" für die Materialkosten einzubauen. Der Handwerker befristet sein Angebot auf einen begrenzten Zeitraum und lässt sich beim Lieferanten die angefragten Einkaufsbedingungen garantieren. Ohne Preisgleitklausel können die entstehenden Mehrkosten für die vertraglich vereinbarten Leistungen bei Ausschreibungen dem Auftraggeber nicht berechnet werden.

ABZ: Was ist bei bereits geschlossenen Verträgen bezüglich der Leistungserbringung innerhalb der vereinbarten Ausführungsfrist zu beachten?

Sperling: Die vereinbarten Preise sind Festpreise. Der "Wegfall der Geschäftsgrundlage" als Anspruchsgrundlage (313 BGB) erscheint mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung als unwahrscheinlich. Nur in besonders begründeten Härtefällen kommt eine Preisanpassung bei bestehenden Verträgen in Betracht, so wird dies im Schreiben des Bauministeriums vom 21. Mai 2021 dargestellt. Wenn das Festhalten am Vertrag in seiner ursprünglichen Form für den Auftragnehmer zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden und damit nach Treu und Glauben zu nicht zumutbaren Ergebnisse führen würde, kann dieser Ausnahmefall begründet sein. Die unbillige Benachteiligung müsste der Unternehmer durch Vorlage geeigneter Unterlagen nachweisen. Im Ausnahmefall müsste dies für die Anwendung der Vorschrift bedeuten, dass der Auftragnehmer bei Erfüllung des Vertrages von Insolvenz bedroht wäre. Allein die Tatsache, dass dem Auftragnehmer finanzielle Verluste drohen, stellt aus Sicht des Ministeriums noch keinen Anwendungsfall dar.

ABZ: Können Fristen verlängert werden?

Sperling: Wenn aufgrund höherer Gewalt (infolge der Covid-19-Pandemie) oder eines anderen, vom Auftragnehmer nicht abwendbaren, Ereignisses im Sinne des § 6 Abs. 2 1c VOB/B gewertet werden kann, kommt eine Verlängerung der Vertragsfristen in Betracht. Dies bedeutet, dass die Beschaffung der Baustoffe dem Unternehmer tatsächlich nicht möglich ist, und zwar auch dann nicht, wenn er höhere Einkaufspreise zahlen würde. Beweispflichtig ist derjenige, der sich auf höhere Gewalt oder das nicht abwendbare Ereignis beruft. Zu bedenken ist aber, dass die Pandemie nun seit zwei Jahren herrscht. Ob es sich bei Störungen durch Covid-19 noch um "unvorhersehbare" Ereignisse handelt ist daher hoch umstritten.

ABZ: Sind Leistungsänderungen möglich?

Sperling: Je nach Methode der Vergütungsermittlung ist bei Leistungsänderungen oder Mehrmengen eine Berücksichtigung von Materialkostensteigerungen denkbar. Die Vergütungsanpassung kann entweder im Rückgriff auf die vereinbarungsgemäß hinterlegte Urkalkulation erfolgen oder nach den "tatsächlich erforderlichen Kosten" ermittelt werden. Im letzten Fall dürfen dann aktuelle Materialpreise abgerechnet werden.

ABZ: Was ist bei Bauzeitverzögerungen zu beachten?

Sperling: Hier gilt es, Vorsicht walten zu lassen, denn es gab eine radikale Änderung der Rechtsprechung zum Thema Entschädigung wegen Ausführung der vertraglich geschuldeten Leistung nach Beendigung des Annahmeverzugs. Aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes steht fest, dass der Unternehmer nach § 642 BGB keinen Ausgleich für gestiegene Materialkosten vom Auftraggeber verlangen kann, die zwar aufgrund der Bauzeitverzögerung verursacht sind, aber für Werkleistungen anfallen, die erst nach Beendigung des Annahmeverzugs erbracht werden. Also wenn die Arbeiten zu einem späteren Zeitpunkt auf der Baustelle beginnen.

ABZ: Was bedeutet das für Schadenersatzansprüche oder das Kündigungsrecht?

Sperling: Schadensersatzansprüche für Lohn- und Materialpreissteigerungen können nicht durchgesetzt werden, weil neben dem Verschuldenserfordernis eine Pflichtverletzung des Auftraggebers nur in seltenen Fällen vorliegt und nachgewiesen werden kann. Dies gelingt Auftragnehmern in der Regel nicht. Verzögern sich die Bauarbeiten um mehr als drei Monate, steht sowohl dem Auftraggeber als auch dem Auftragnehmer beiden gemäß § 6 Abs. 7 VOB B das Kündigungsrecht zu. Eine Kündigung bei Annahmeverzug des Auftragnehmers, zum Beispiel wegen fehlender Materialien, kommt gemäß § 5 Abs. 3 und 4 VOB/B sowie § 8 Abs. 3 VOB/B in Betracht.

ABZ: Welche Handlungsempfehlungen können Sie noch geben?

Sperling: Das ist je nach Fallkonstellation unterschiedlich. Grundsätzlich müssen faire Lösungen für die Risiken aus der eklatanten Materialknappheit zwischen den Vertragsparteien gefunden werden. Dies gilt sowohl für die unkontrollierbaren Kostensteigerungen bei den Baustoffen wie auch für das Bauzeitthema. Die Risiken sollten nicht einseitig die Baufirmen tragen.

Vor dem Hintergrund enormer Preisveränderungen bei bestimmten Stoffen und bei Lieferengpässen ist das Beschaffungsrisiko in die laufenden Vertragsverhandlungen einzubeziehen.

Am Ende hilft nur ein fairer Umgang der Parteien miteinander weiter. Die einseitige Abwälzung dieser Risiken, besonders auf den Auftragnehmer, führt zur unnötigen Einkalkulation von Risiken beim Auftragnehmer und zu massiven Störungen des Bauablaufs, wenn der Auftragnehmer aufgrund der Materialpreise weiteres Nachtragspotenzial "auf Teufel komm raus" auftun muss.

ABZ: Und in puncto erhöhte Materialpreise?

Sperling: Bei zusätzlichen und geänderten Leistungen sowie bei Mehrmengen können erhöhte Materialpreise zum Tragen kommen, wenn diese Leistungen auf Basis der tatsächlich erforderlichen Kosten abgerechnet werden. Nützlich ist auch eine Vertragsklausel zur außergerichtlichen Streitbeilegung bei Baustreitigkeiten. Der Gang zu Gericht sollte nur die Ultima Ratio sein. Ein Sprichwort besagt: "Gehst du zu Gericht, gewinnst du ein Schaf und verlierst eine Kuh."

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