Bundesinnung Gerüstbau Jahrestagung 2024

Zurückhaltung und Verunsicherung in der Branche

Bundesverband und Bundesinnung für das Gerüstbauer-Handwerk begehen in diesen Tagen die Bundesfachtagung 2024. Geschäftsführerin Sabrina Luther und Präsident Marcus Nachbauer sprachen mit ABZ-Chefredakteur Kai-Werner Fajga über die aktuellen Herausforderungen.
Bundesinnung/Bundesverband Gerüstbau Gerüstbau
Sabrina Luther ist Geschäftsführerin Bundesinnung für das Gerüstbauer-Handwerk und Marcus Nachbauer ist Bundesinnungsmeister und Präsident des Bundesverband Gerüstbau. Fotos: Bundesinnung für das Gerüstbauer-Handwerk

ABZ: Herr Nachbauer, Frau Luther, die Krise im Wohnungsbau beschäftigt die Branche. Wie würden Sie die aktuelle Marktsituation in Deutschland skizzieren?

Nachbauer: Die Zahlen sprechen für sich: 2023 wurden fast 100.000 Wohneinheiten weniger genehmigt als im Vorjahr. Im Jahresverlauf erteilten die Behörden Genehmigungen für 260 071 Wohnungen – so wenig waren es zuletzt 2012. Das erklärte Wohnungsbauziel der Bundesregierung, 400.000 Wohnungen im Jahr zu errichten, ist damit weiter entfernt denn je. Hinzukommt die politische Unsicherheit: Auf das lange Ringen um den Haushalt 2024 folgte das Tauziehen zwischen Bund und Ländern um das Wachstumschancengesetz. Das alles sorgt für große Verunsicherung. Höhere Bauzinsen, gestiegene Kosten und fehlende Förderungen sind weiter maßgeblich für die aktuelle Zurückhaltung beim Bauen.

ABZ: Wie wirkt sich die aktuelle Marktsituation auf den Bundesverband/die Bundesinnung Gerüstbau aus?

Luther: Als zentrale Vertretung des Gerüstbau-Handwerks in Deutschland müssen wir uns dieser schwierigen Situation stellen, nicht zuletzt auch in unserer Rolle als Tarifpartei. So konnten wir der Gewerkschaft bei den Tarifverhandlungen etwa nicht noch weiter entgegenkommen – was angesichts der Kompromisslosigkeit der IG BAU leider zu einem Scheitern der Lohntarifverhandlungen geführt hat. Zugleich beschäftigt uns die Baukrise natürlich auch in unserer politischen Arbeit: Gemeinsam mit Dachverbänden wie dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und der Bundesvereinigung Bauwirtschaft (BVB) suchen wir hier regelmäßig das Gespräch mit der Politik, um durch konstruktive Kritik auf Lösungen zu drängen, ob in der Förderpolitik oder beim Bürokratieabbau.

ABZ: Wie wirkt sich die aktuelle Marktsituation auf ihre Mitgliedsunternehmen aus – beziehungsweise welchen Herausforderungen müssen sich ihre Mitgliedsunternehmen stellen?

Nachbauer: Die Entwicklung im Bauhauptgewerbe hat naturgemäß großen Einfluss auf den Gerüstbau, weshalb die Branche stark verunsichert ist. Viele Betriebe blicken deshalb verstärkt in Richtung Ausbaugewerbe, das ebenfalls ein wichtiger Auftraggeber für das Gerüstbauer-Handwerk ist. Vor allem Ausbaugewerke, die im Bereich der energetischen Sanierung oder alternativen Energieversorgung tätig sind, haben gut gefüllte Auftragsbücher. Im Industriegerüstbau überwiegen hingegen die Sorgen, denn viele Industriezweige investieren aktuell nur noch das Nötigste in den Standort.

ABZ: Im letzten Jahr mussten ihre Mitgliedsunternehmen Lieferkettenprobleme und Preissteigerungen verkraften. Sind diese Probleme gelöst?

Nachbauer: Die Lage hat sich hier zumindest entspannt. Gravierende Materialengpässe gibt es aktuell nicht mehr und auch die Preisentwicklung hat an Dynamik verloren. Dennoch bleiben etwa die Energiekosten auf hohem Niveau, was eine Belastung für unsere Unternehmen darstellt.

ABZ: Welche Perspektive zeichnet sich für die Gerüstbaubranche in den kommenden Monaten und für 2025 ab?

Nachbauer: Hier eine valide Einschätzung abzugeben, fällt schwer. Die wirtschaftliche Entwicklung ist von großen Unsicherheiten geprägt, und aus der Politik kommen zu wenige positive Signale. Unsere Branche wird lernen müssen, mit diesen Unsicherheiten umzugehen. Der Vorteil in unserem Handwerk ist aber sicherlich die große Bandbreite unseres Tätigkeitsfeldes und die Flexibilität der Gerüstbaufirmen, sich auf neue Situationen einzustellen.

ABZ: Im Oktober 2023 ist die überarbeitete ATV DIN 18451 in Kraft getreten. Welche Erfahrungen konnten ihre Mitgliedunternehmen seither sammeln? Welche Herausforderungen gibt es?

Luther: Bundesinnung und Bundesverband Gerüstbau haben der neuen Abrechnungsnorm zwei Großveranstaltungen gewidmet: das zweitägige Groß-Seminar im November 2023 und das ausnahmsweise ebenfalls zweitägige Technik-Seminar im Februar 2024. Beide Seminare waren mit insgesamt nahezu 900 Teilnehmern überdurchschnittlich gut besucht, was das hohe Interesse der Branche beweist. Zudem spielt das Thema auch bei unseren regionalen Mitgliederversammlungen eine wichtige Rolle. Dabei wurde allerdings auch klar: Das Wissen um die neue Abrechnungsnorm ist noch nicht bei allen ausschreibenden Stellen angekommen. Es ist und bleibt daher Aufgabe der Gerüstbaubranche, das zu verändern und die neuen Regeln im Markt zu etablieren.

ABZ: An welcher Stelle/welchen Stellen sollte die Vergabe- und Vertragsordnung ergänzt oder erweitert werden?

Luther: Die Neufassung der DIN 18451 wurde von Bundesinnung und Bundesverband Gerüstbau angestoßen und maßgeblich erarbeitet. Hier sind viele Praxiserfahrungen mit der Vorgängernorm eingeflossen. Die Kernänderungen bestehen ja darin, dass es nun eine klare Trennung zwischen der Montage/Demontageleistung und der Miete gibt und das Gerüst selbst wie auch andere Bauleistungen Gegenstand der Abrechnung ist, nicht mehr eine Drittfläche. Wir sind der Meinung, dass die Neufassung sehr viel mehr Klarheit und Transparenz für die Abrechnung im Gerüstbau schafft und damit zukünftig Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer reduzieren kann. Aktuell sehen wir daher keinen Ergänzungsbedarf. Allerdings muss die Norm sich jetzt auch noch in der Praxis erproben, insbesondere auch in Bezug auf die Qualität der Leistungsbeschreibungen.

ABZ: Am 1. Juli 2024 tritt eine für das Gerüstbauer-Handwerk zentrale Änderung des Übergangsgesetzes zur Novellierung der Handwerksordnung in Kraft, das einen einheitlichen Umgang der Handwerkskammern mit dem Thema gewährleisten soll. Für das isolierte Anbieten von Gerüstbauleistungen gelten neue Bedingungen, was bildet den Kern des neuen Gesetzes?

Luther: Am 1. Juli endet eine 25-jährige Übergangsfrist. Anders als bisher dürfen die im Übergangsgesetz genannten Fremdgewerke wie Stuckateure, Maler oder Dachdecker Gerüste dann nur noch für den Eigenbedarf aufstellen – es sei denn sie besitzen eine Ausnahmegenehmigung nach der Handwerksordnung.

ABZ: Wie bewerten Bundesverband und Bundesinnung die Gesetzesänderung?

Luther: Das Auslaufen des aktuellen Übergangsgesetzes markiert den letzten Meilenstein für die Entwicklung des Gerüstbaus zu einem eigenständigen Vollhandwerk. Jetzt gilt es den Übergang in Zusammenarbeit mit den Handwerkskammern gut zu begleiten. Danach werden wir die Situation mit dem ZDH erneut evaluieren und bei Bedarf nachjustieren.

ABZ: Was gilt für Ausnahmebewilligungen und Übergangsfristen?

Luther: Für das isolierte Anbieten von Gerüstbauleistungen gelten ab dem 1. Juli 2024 grundsätzlich die regulären Bedingungen der Handwerksordnung, das heißt, der Betrieb muss sich bei der zuständigen Handwerkskammer unter den üblichen Voraussetzungen in die Handwerksrolle eintragen lassen. Hierzu muss ein Meisterbrief oder eine meistergleiche Qualifikation im Gerüstbauer-Handwerk in der Person des Betriebsinhabers bzw. des technischen Betriebsleiters vorgelegt werden. Andernfalls kommt nur die Beantragung einer Ausnahmebewilligung nach § 8 HwO oder einer Ausübungsberechtigung nach § 7a beziehungsweise 7b HwO in Betracht. Hierzu müssen die notwendigen beziehungsweise erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten im Gerüstbauer-Handwerk nachgewiesen werden. Im Zweifel erfolgt dieser Nachweis durch eine Sachkundeprüfung. Um die Erteilung dieser Ausnahmegenehmigungen für Bestandsbetriebe zu vereinheitlichen, haben Bundesinnung und Bundesverband ein Eckpunktepapier ausgehandelt. Dieses legt Kriterien fest, bei deren Vorliegen in der Regel eine Ausnahmebewilligung erteilt werden kann. Dies betrifft Betriebe, die für lange Zeit vor dem Stichtag eine Betriebsstruktur im Gerüstbau nachweisen können. Dieser Leitfaden wurde vergangenen Herbst durch den ZDH an die Handwerkskammern übermittelt.

ABZ: Welchen Einfluss werden die neuen Verordnungen auf das Thema Arbeitssicherheit ausüben?

Nachbauer: Die Arbeitssicherheit im Gerüstbau voranzubringen, ist eines der wichtigsten Ziele von Bundesinnung und Bundesverband Gerüstbau. Nicht zuletzt spielt das Thema eine wichtige Rolle in unseren Ausbildungszentren. Wenn künftig in der Regel nur genuine Gerüstbaubetriebe Gerüstbauleistungen für Dritte anbieten dürfen, wird das auch in punkto Arbeitssicherheit einen großen Schritt nach vorn bedeuten.

ABZ: Im abgelaufenen Geschäftsjahr beschäftigte der Fachkräftemangel auch das Gerüstbauer-Handwerk – Ausbildungsstellen blieben unbesetzt. Hat sich das seither geändert?

Luther: Der Fachkräftemangel stellt leider weiterhin eine große Herausforderung für unser Gewerk dar – wie auch im Handwerk allgemein. Um unsere Mitgliedsbetriebe hier nach Kräften zu unterstützen, führen wir auch in diesem Jahr unsere Imagekampagne weiter. Sie wirbt auf unterschiedlichen Social-Media-Kanälen für den Ausbildungsberuf Gerüstbauer/in. Zugleich geben wir unseren Mitgliedern Werkzeuge in die Hand, mit denen sie auch auf eigenen Kanälen um Nachwuchskräfte werben können. Neben den stetigen Qualitätsanstrengungen im eigenen Bereich bleibt zusätzlich aber auch noch die Herausforderung, das Thema Arbeitssicherheit auf Gerüsten mit den Nutzern zu verbessern.

ABZ: Welche Themen stellten Bundesverband und Bundesinnung auf der diesjährigen Bundesfachtagung 2024 in den Fokus?

Luther: Natürlich diskutieren wir, was die Branche bewegt, also all die Themen, die in diesem Interview bereits zur Sprache gekommen sind: Baukrise und Fachkräftesicherung, die Erfahrungen mit der neuen DIN 18451 und das Auslaufen des Übergangsgesetzes oder auch wie eine gute Koordination mit den E-Handwerken bei Gerüsten zur Installation von Photovoltaikanlagen gelingen kann. Außerdem haben wir einen Fachvortrag auf dem Programm, der sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf den Gerüstbau befasst. Unser traditioneller "Talk im Gerüst" befasst sich diesmal mit dem Thema Baustellenlogistik, das eine wachsende Bedeutung im Baustellenalltag einnimmt.

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