Konflikte am Bau adäquat lösen

Schlichten statt Streiten

Berlin. – Selbst erfahrene, besonnene Bauleiter, Geschäftsführer und Ingenieure sind in manchen Situationen nicht immer in der Lage, Konflikte mit dem Vertragspartnern beizulegen. Dann sollte ein Schlichter angerufen werden.
Schlichtung Baurecht
Rechtsanwalt Dr. Ulrich Böttger ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltverein. Foto: ARGE Baurecht

Streit am Bau lässt sich nicht immer vermeiden. Auch dann, wenn Sie sorgfältig geplant, kalkuliert, ausgeschrieben und verhandelt haben. Auch, wenn Sie nur qualifiziertes Personal unter erfahrener Bauaufsicht eingesetzt haben: Der Teufel ist ein Eichhörnchen, irgendetwas kann immer schiefgehen. Selbst erfahrene, besonnene Bauleiter, Geschäftsführer und Ingenieure sind dann in der eskalierten Situation nicht immer in der Lage, den Konflikt mit dem Vertragspartner beizulegen, die Baustelle in Gang zu halten, die Abrechnung einvernehmlich zu klären, Mängelstreitigkeiten beizulegen. Also dann: Ab zu Gericht, dann muss halt der Richter am Landgericht ran?! "Halt, mein Freund!" sagte früher im Kino die Stimme aus dem Off zum HB-Männchen. Aber anstatt wie in der Zigarettenwerbung den Griff zur Zigarette zu empfehlen gebe ich die Empfehlung:

Tipp 1

Schlichten ist besser als streiten!

Bedenken Sie bei jeder Streiteskalation, bevor Sie etwa einen Bauvertrag kündigen, die Arbeiten einstellen oder Ihrer Anwaltskanzlei Klageauftrag erteilen: Wäre nicht eine Schlichtung sinnvoller? Das mag ein aktueller Fall illustrieren, wie er in Variationen zurzeit leider oft passiert:

Die Parteien haben am 03. Januar 2022 einen Einheitspreis-Vertrag über die Errichtung eines Atriumdachs sowie von Technikzentralen für ein Krankenhaus geschlossen. Die Auftragssumme beträgt 480.000 Euro. Die Bauarbeiten laufen bereits seit Mitte Januar 2022. Vereinbarter Fertigstellungstermin ist der 31. Juli 2022. Der Auftragnehmer (AN) meldet Mehrkosten i. H. v. 160.000 Euro an wegen der überraschenden und drastischen Stahlpreiserhöhungen und Lieferschwierigkeiten im Zuge des Russland-Ukraine-Konfliktes (Eskalationsbeginn 24. Februar 2022). Der AN beruft sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage und unterbreitet ein Nachtragsangebot, begehrt zugleich Bauzeitverlängerung um einen Monat.

Der Auftraggeber (AG) verweist auf die vereinbarten Festpreise und verneint einen Rechtsanspruch sowohl hinsichtlich der geltend gemachten Bauzeitverlängerung wie auch für die Mehrkosten. Er besteht auf vertragspreis- und termingerechter Fertigstellung, zumal die Behinderung anderer Unternehmen und die Verzögerung der Klinikeröffnung zu Schäden im oberen sechsstelligen Bereich führen würden. Der AN verweist auf eine durch diese Entwicklung drohende Existenzgefährdung für sein kleines Unternehmen und kündigt an, bei Ausbleiben einer Preisanpassung die Arbeiten einstellen zu müssen.

Der AG sieht darin eine gravierende Pflichtverletzung, droht mit Auftragsentziehung und Geltendmachung der Fertigstellungsmehrkosten und Verzögerungsschäden, die bei der dann notwendigen Neuvergabe der Ersatzvornahme sicher anfallen werden.

Das zu erwartende Szenario bei Arbeitseinstellung des AN und anschließender Kündigung durch den AG und Gerichtsprozess vor dem Landgericht kennen Sie alle, man nennt es "Gemeinsam in den Abgrund!": Ein langes Prozessverfahren mit hohen Kosten für Gericht, Sachverständige und Anwälte, hoher eigener Aufwand im Unternehmen für die Informationsbeschaffung und -verarbeitung, Verhärtung, gar Abbruch zuvor guter Geschäftsbeziehungen mit langjährigen Vertragspartnern, ungewisser Prozessausgang, im Unterliegensfalle hohe auszugleichende Zinsen, und auch nach Prozessgewinn noch der Forderungsausfall bei dem über die Prozessdauer zahlungsunfähig gewordenen AN.

Wäre – nicht nur in Fällen wie diesem – nicht ein anderer Weg sinnvoller? Zumal die Entscheidung der wesentlichen Rechtsfrage sooo sicher nicht ist, jedenfalls in der ersten Instanz. Und zumal ja tatsächlich der Kriegskonflikt überraschend kam und die Stahlpreise tatsächlich enorm schnell anstiegen. Und die Kosten einer Kündigung, eines Stillstandes der Baustelle, einer Verzögerung der Klinikeröffnung tatsächlich anfallen würden und davon keine der Parteien einen Vorteil hätte! Solche Fälle verlangen nach kreativeren Lösungen als dem Gerichtsprozess nach Kündigung des Bauvertrages!

Besonders geeignet für die Erledigung eines solchen – und vieler anderer! – Konflikte am Bau ist die Schlichtung. Die Schlichtung zielt auf eine Einigung zwischen den Konfliktparteien mittels Unterstützung durch eine Schlichtungsperson ab. Die Schlichtungsperson moderiert den Konflikt, bringt die festgefahrene Kommunikation zwischen den Parteien wieder in Gang und unterstützt sie darin, den Konflikt beizulegen, hilft den Parteien jeweils auch die Sichtweise der anderen Seite wahrzunehmen und Lösungen zu erarbeiten.

Wie komme ich zu einer Schlichtung?

Indem sich die Parteien darauf einigen, eine Schlichtung durchzuführen, beispielsweise nach den Regeln des Buches 2 der SOBau2020, der Schlichtungs- und Schiedsordnung für Baustreitigkeiten der Arbeitsgemeinschaft für Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltverein (www.sobau.de). Die Einigung kann jederzeit und formlos getroffen werden, für einen konkreten, bereits eingetretenen Streitfall, oder auch für alle Streitfälle bei einem Bauvorhaben, aus einem Bauvertrag.

Wie finde ich Schlichtungspersonen?

Wie finde ich zu einer Schlichtungsperson, einer Schlichterin oder einem Schlichter?

Die SOBau2020 empfiehlt, dass Schlichtungspersonen die Befähigung zum Richteramt haben sollten, das ist aber nicht zwingend. Kenntnisse in bautechnischen, baubetrieblichen und/oder baurechtlichen Fragen – je nach Streitfall – sowie der außergerichtlichen Streitlösung sollten vorhanden sein. Die Schlichtungsperson muss unparteilich und unabhängig sein und sich zur Verschwiegenheit verpflichten. Auch die Tätigkeit mehrerer Schlichter im Team (zum Beispiel die Kombination Jurist/Baubetriebler/Sachverständiger) ist möglich.

Tipp 2

Bei der Schlichtersuche hilft Ihnen die SOBau2020 mit der Schlichterliste unter www.sobau.de/schlichtersuche. Dort finden Sie erfahrene Schlichterinnen und Schlichter, sämtlich Fachanwältinnen/ Fachanwälte für Bau- und Architektenrecht; sie haben eine spezielle Schlichterausbildung absolviert.

Wie läuft die Schlichtung ab?

Nachdem eine Partei das Verfahren eingeleitet hat, trägt die Schlichtungsperson aktiv zur Sachverhaltsermittlung und -aufklärung bei, etwa durch Inaugenscheinnahme der Baustelle und Hinzuziehung sachkundiger Personen oder Sachverständiger. Im o.g. Fall würde er zum Beispiel die Stahlpreisentwicklung und die Kalkulation des Nachtrags prüfen lassen.

Eine Schlichtung ist auch deshalb ein vorteilhaftes Format, weil die Schlichtungsperson diese in Abstimmung mit den Parteien sehr gut dem Volumen des Streitthemas anpassen kann. Eine schriftsätzliche Aufbereitung des Streitstoffes kann sinnvoll und erforderlich sein, mitunter ist dies aber auch entbehrlich. Kern der Schlichtung ist die gemeinsame Schlichtungsverhandlung. Oft hilft es, wenn diese am Ort des Bauvorhabens stattfindet. In der Schlichtungsverhandlung werden die Konfliktthemen identifiziert, erörtert, Lösungsvorschläge entwickelt und gemeinsame Lösungswege besprochen. Hier ist die aktive Mitarbeit der Parteien gefordert. In geeigneten Fällen kann die Schlichtungsperson auch die Parteien einzeln anhören, um etwa hinter dem Konflikt liegende Störungen auszuloten. Die Schlichtungsperson kann auch mit ihrer fachlichen Erfahrung Impulse für Lösungsansätze geben und zusätzliche Handlungsoptionen aufzeigen.

Was ist das Ergebnis der Schlichtung?

Sehr oft einigen sich die Parteien in der Schlichtung, sie verstehen und verständigen sich. Vereinbarungen der Parteien sind dann zu protokollieren, von der Schlichtungsperson und den Parteien zu unterzeichnen.

Erfolgt keine Einigung der Parteien, unterbreitet die Schlichtungsperson einen schriftlich begründeten Schlichtungsvorschlag, der den Parteien zuzustellen ist.

Wichtig ist, dass dieser Schlichtungsvorschlag wirklich nur ein Vorschlag ist, kein Urteil. Er hat keine verbindliche Kraft. Er ist aber rechtlich fundiert und kann auch entsprechend begründet werden.

Die Parteien können ihn annehmen und damit den Konflikt beilegen. Wird der Vorschlag nicht (in der Regel) binnen zwei Wochen nach jeweiliger Zustellung angenommen, gilt er als abgelehnt.

Die Parteien können dann weiterstreiten, sie können den Schlichtungsvorschlag aber auch modifizieren und sich anderweit einigen. Der Schlichtungsvorschlag wird jedoch häufig von den Parteien als richtig empfunden und deshalb angenommen.Die Schlichtung ist ein freiwilliges Verfahren. Die Schlichtung kann jederzeit von jeder Partei beendigt oder abgelehnt werden. Es empfiehlt sich oft, bereits im Bauvertrag zu vereinbaren, dass für den Fall des Scheiterns der Schlichtung unmittelbar daran anschließend ein Schiedsrichterliches Verfahren nach dem Buch 4 der SOBau2020 durchzuführen ist. Dann kann die anspruchstellende Partei unter Meidung der Nachteile des Prozesses vor den staatlichen Gerichten ein Schiedsgerichtsverfahren einleiten.

Tipp 3

Vereinbaren Sie für den Fall des Scheiterns der Schlichtung die Durchführung eines Schiedsgerichtsverfahren nach dem Buch 4 der SOBau!

Wichtiger Nebeneffekt der Schlichtung: Hemmung der Verjährung

Durch den Zugang der Aufforderung gemäß § 9 Abs. 1 des Buches 2 der SOBau 2020 wird die Verjährung der geltend gemachten Ansprüche gehemmt. Diese Hemmung endet frühestens drei Monate nach Scheitern des Schlichtungsverfahrens gemäß § 9 Abs. 3 oder nach Beendigung des Schlichtungsverfahrens gem. § 13 des Buches 2 der SOBAu 2020.

Und was ist mit unserem Fall?

Es ist wahrscheinlich, dass sich die Parteien im Rahmen der Schlichtung auf die Fortführung des Vertrages einigen. Auch wenn der AG vor Gericht wohl die besseren Karten haben dürfte, und irgendwann einmal Recht bekäme, hätte er wohl wirtschaftlich zu viel zu verlieren. Denkbar wäre, dass er sich – jedenfalls vorläufig – an den Materialmehrkosten beteiligt, um die Fertigstellung zu sichern. Verhandlungsfragen wären dann insbesondere die Bedingungen und die Höhe der Beteiligung, eine mögliche spätere – anteilige – Rückzahlung und deren Absicherung. Jedenfalls gilt: Schlichten ist besser als streiten!

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